Vererben in Europa
I. Die europäische Basis
Über 12 Mio. Europäer leben in einem anderen EU-Staat als ihrem Heimatland. Dies führt jährlich zu ca. 450.000 Erbfällen mit einem Nachlassvolumen von geschätzt mehr als 120 Milliarden Euro.
Die Verteilung dieser Summe, die etwa dem Bruttoinlandsprodukt von Berlin entspricht, richtet sich seit dem 17.08.2015 nach neuen Regeln.
Bis zu diesem Zeitpunkt war für das auf einen Erbfall anzuwendende Recht in den Mitgliedstaaten der EU zum Teil die Nationalität ( so in Deutschland und Spanien), zum Teil der letzte gewöhnliche Auftenhalt (z.B. in Frankreich und Polen) des Erblassers massgeblich.
Ein in Madrid lebender Deutscher wurde nach deutschem Recht beerbt; sein in Düsseldorf beheimateter spanischer Kollege musste seine Nachlassplanung am spanischen Recht ausrichten.
Seit dem 17. August 2015 ist dies anders.
Für Todesfälle ab diesem Zeitpunkt gilt die Europäische Erbrechtsverordnung Nr. 650/2012 (EuErbVO), die die Frage, welche Rechtsordnung auf einen Erbfall anzuwenden ist für alle Mitgliedsstaaten mit Ausnahme von Großbritannien, Irland und Dänemark einheitlich regelt.
Gemäss § 21 EuErbVO richtet sich die Rechtsnachfolge von Todes wegen nach dem Recht des Staates, in dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Auftenthalt hatte.
Sollten in unserem Ausgangsbeispiel beide Herren den 17.08.2015 überlebt haben, wird das Erbe des in Madrid beheimateten Deutschen daher künftig nach spanischem Recht abgewickelt werden, während die Erbschaft des in Düsseldorf lebenden Spaniers den Regeln des BGB unterliegt.
Beide haben allerdings die Möglichkeit, in ihrem Testament eine Rechtswahl gemäss § 22 EuErbVO zu treffen.
Nach dieser Bestimmung kann eine Person für die Rechtsnachfolge von Todes wegen das Recht des Staates wählen, dem sie im Zeitpunkt der Rechtswahl oder im Zeitpunkt ihres Todes angehört.
Die Rechtswahl muss entweder ausdrücklich in einer Erklärung in Form einer Verfügung von Todes wegen (Testament) erfolgen oder sich aus den Bestimmungen einer solchen Verfügung ergeben (§ 22 Abs. 2 EuErbVO).
Das heisst, es reicht nicht aus, ein Testament zu machen, sondern es muss sich aus dem Testament eindeutig ergeben, dass sich die Rechtsfolge des Erblassers nach dessen Heimatrecht richten soll.
Was unter “gewöhnlichem Aufenthalt” zu verstehen ist, wird in der Verordnung nicht definiert. Der Gesetzgeber hat sich bewusst dagegen entschieden, diesen Begriff zu “mathematisieren”, d.h., an einer Mindestaufenthaltsfrist festzumachen.
Laut der Begründung zum Kommissionsvorschlag handelt es sich um den Ort, der den Mittelpunkt des Lebensinteresses des Erblassers beschreibt.
Aus den Erwägungsgründen (23) und (24) der EuErbVO ergeben sich einige Hinweise hinsichtlich der bei der Festlegung des gewöhnlichen Aufenthaltes zu berücksichtigenden Umstände.
Danach soll “die mit der Erbsache befasste Behörde eine Gesamtverurteilung der Lebensumstände des Erblassers in den Jahren vor seinem Tod vornehmen und dabei alle relevanten Tatsachen berücksichtigen, insbesondere die Dauer und die Regelmässigkeit des Aufenthaltes des Erblassers in dem betreffenden Staat.
Wie sich aus Erwägungsgrund (24) ergibt, reicht die Verlagerung des Wohnsitzes aus beruflichen oder wirtschaftlichen Gründen allein nicht aus, um einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen, jedenfalls dann nicht , wenn der Erblasser weiterhin eine enge und feste Bindung zu seinem Herkunftsstaat aufrecht erhält.
Der gewöhnliche Aufenthalt ist nicht nur massgeblich für die Bestimmung des anzuwendenden Erbrechts, sondern auch für die Zuständigkeit der mit dem Erbfall zu befassenden staatlichen Organe.
Dies gilt gemäss § 4 EuErbVO sowohl für die anzurufenden Gerichte als auch für die Bestimmung der Behörde, die für die Erteilung des europäischen Nachlasszeugnisses zuständig ist (§ 64 EuErbVO).
Was unter gewöhnlichem Aufenthalt zu verstehen ist, werden daher letztlich die Gerichte festzulegen haben. Dies kann vor allem während der ersten Jahre der Geltung der Verordnung zu einer gewissen Rechtsunsicherheit führen.
Wer bei seiner Nachlassplanung auf Nummer sicher gehen will, und mit seiner Familie nicht bereits seit “ewigen Zeiten” in Spanien lebt, sollte daher von der Rechtswahlmöglichkeit des § 22 EuErbVO Gebrauch machen.
Dies gilt vor allem für berufliche Pendler und Ruheständler die ihren Lebensabend in Spanien verbringen und nicht alle Brücken in die alte Heimat abgebrochen haben, sondern noch enge soziale und familiäre Beziehungen in Deutschland pflegen, sich dort regelmässig aufhalten und dort Vermögen besitzen.
II. Die spanische Vielfalt
Spanien ist bekanntlich ein Mehrrechtsstaat, d.h., in weiten Teilen des spanischen Königreiches ( auf den Balearen, in Navarra, im Baskenland, Katalonien und Galizien) gelten Sonderrechte (sog. Foralrecht), die gerade im Bereich des Erbrechts Regelungen enthalten, welche von dem im Código Civil geregelten “allgemeinen Erbrecht” teilweise stark abweichen.
Diese Sonderrechte gelten aber nicht für alle in den Foralrechtsgebieten beheimateten Personen, sondern nur für solche, welche die “ vecindad civil” (Gebietszugehörigkeit ) der jeweiligen Region besitzen.
Um diese zu erwerben, bedarf es der spanischen Staatsbürgerschaft, sowie einer Mindestaufenhaltsdauer von 2 Jahren im Sonderrechtsgebiet.
Insoweit bestimmt Art. 14 Abs. 5 Código Civil, dass die “vecindad civil” erwirbt, wer sich entweder mindestens 2 Jahre im Sonderrechtsgebiet aufhält und durch Erklärung vor dem Registro Civil (Personenstandsregister) ausdrücklich für die “vecindad civil” optiert oder nach mindestens 10 Jahren ununterbrochenen Aufenthaltes, es sei denn, der Betroffene hat vor dem Registro Civil ausdrücklich zu Protokoll gegeben, dass er die “vecindad civil” nicht erwerben wolle.
Was bedeutet das für den im Baskenland oder auf den Balearen ansässigen Deutschen, der keine Rechtswahl getroffen hat und möglicherweise auch keine treffen will, weil seine Nachlassplanung sich besser nach baskischem, balearischem Sonderecht oder nach dem Código Civil umsetzen lässt?, Gilt für ihn der Código Civil oder das Sonderrecht des Derecho Foral?
Der europäische Gesetzgeber verweisst in den §§ 36 ff. EuErbVO bei Mehrrechtsstaaten zunächst auf die internen Kollisionsvorschriften des betreffenden Staates und bestimmt nur für den Fall, dass dort keine Regelung getroffen wird selbst das massgebliche Gebietsrecht.
In der spanischen juristischen Literatur ist angesichts der Tatsache, dass ein Ausländer keine Gebietszugehörigkeit erwerben kann und somit die eigentlich einschlägige Kollisionsnorm des Art. 14 des Código Civil zumindest nicht direkt anwendbar ist, umstritten, ob dies zur Anwendung des Código Civil führt oder ob das Foralrecht dennoch Anwendung findet und wenn ja unter welchen Voraussetzungen: Nach 2 bzw. 10-jährigem Aufenthalt wie in Art. 14. 5 Código Civil geregelt oder sobald ein gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne der EuErbVO vorliegt?
Es hat den Anschein, dass in Beraterkreisen letztere Lösung favorisiert wird. Ob sich diese Auffassung durchsetzen wird, mag vielleicht wahrscheinlich sein, ist jedoch mangels Rechtsprechung keinesfalls gesicherte Erkenntnis. Deutsche, die seit langem ihren Lebensmittelpunkt in einem Sonderrechtsgebiet haben, können sich derzeit lediglich darauf verlassen , dass ihre Erbfolge sich nicht nach deutschem Recht richtet, es sei denn sie treffen eine Rechtswahl. Ob ihre Rechtsnachfolge sich nach dem Código Civil oder nach Foralrecht, und falls ja nach welche Wartezeit, richten wird, ist derzeit noch nicht endgültig geklärt.
Wie wichtig die Klärung dieser Frage ist, soll im folgenden anhand des im Baskenland geltenden Foralrechts erläutert werden.
III. Das baskische Beispiel
Das im Baskenland geltende Erbrecht ist in den §§ 17 – 124 des Gesetzes über baskisches Zivilrecht (Ley de derecho Civil Foral del País Vasco), in Kraft seit dem 03.10.2015, geregelt.
1. Gemeinschaftliches Testament
Nach baskischem Foralrecht ist ein gemeinschaftliches Testament (Testamento mancomunado) zulässig. Unter gemeinschaftlichem Testament versteht § 24 (Ley de Derecho Civil Vasco) die gemeinsame testamentarische Verfügung von 2 Personen, die nicht mit einander verwandt sein müssen, in welcher diese für den Fall ihres Todes über ihre gesamtes oder einen Teil ihres Vermögens verfügen.
Der Widerruf eines gemeinschaftlichen Testaments ist nach dem Tode eines der Ersteller grundsätzlich nicht mehr zulässig.
In Deutschland kann ein gemeinschaftliches Testament (Berliner Testament) bekanntlich nur von Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartnern verfasst werden.
Nach den Vorschriften des Código Civil ist es unzulässig.
2. Sucesión por comisario
Ein deutschem Rechtsempfinden völlig fremdes, möglicherweise aber höchst interessantes Instrument ist die sogenannte “sucesión por comisario”.
Dabei handelt es sich um eine Verfügung von Todes wegen, in welcher der Erblasser die Benennung der Erben auf einen oder mehrere Dritte (comisarios) delegiert, wobei er dem comisario Anweisungen bezüglich der Ausgestaltung der Erbfolge (Ernennung von Erben, Vermächtnisnehmern, Verteilung des Erbes, etc.) geben kann, aber nicht muss.
Ehegatten und “parejas de hecho”, eingetragene Lebenspartner (Zur Erläuterung: Da in Spanien der Institut der Ehe sowohl heterosexuelle als auch homosexuelle Beziehungen umfasst sind mit dem Begriff “ Parejas de hecho” alle eheähnlichen Beziehungen unabhängig von ihrer geschlechtlichen Ausrichtung gemeint) können sich im Rahmen einer Güterstandvereinbarung oder per Erbvertrag gegenseitig als “comisario” einsetzen. Der überlebende Ehegatte kann bevollmächtigt werden, auch sich selbst als Mit-oder Alleinerben einzusetzen.
Ein Vorteil gegenüber dem klassischen Berliner Testament liegt auf der Hand:
Zwischen Testamentsverfassung und Eintreten des Erbfalles vergehen oft viele Jahre, während derer sich die persönliche und wirtschaftliche Situation der künftigen Erben verändern kann. Die “sucesión por Comisario” erlaubt es, flexibel auf solche Veränderungen zu reagieren und die Verteilung des Nachlasses der tatsächlichen Situation der Familie im Zeitpunkt des Erbfalls anzupassen.
Das “Testamento por Comisario” ist im spanischem Código Civil ausdrücklich verboten.
Möglich ist lediglich die sogenannte “fiducia sucesoria”, in welcher der Erblasser seinen überlebenden Ehegatten bevollmächtigen, kann die erbrechtliche Situation gemeinsamer Kinder zu verbessern (Art. 831 Código Civil).
Art. 831 Código Civil ist auch auf nicht verheiratete Personen mit gemeinsamen Abkömmlingen anwendbar.
3. Pflichtteil
Pflichtteilsberechtigt sind nach baskischem Erbrecht die Kinder und ihre Nachkommen sowie der Ehegatte oder Lebenspartner (pareja de hecho).
Der Pflichtteil der Abkömmlinge beträgt ein Drittel des Wertes der Erbschaft, wobei der Erblasser bestimmen kann, welchem oder welchen Abkömmlingen der Pflichtteil zugute kommen soll. Es ist daher möglich, Enkel oder auch Urenkel unter Ausschluss ihrer noch lebenden pflichtteilsberechtigten Erzeuger zu begünstigen.
Die Regeln des Código Civils sind wesentlich weniger flexibel:
– 1/3 de Erbschaft steht den Abkömmlingen zu gleichen Teilen zu.
– Ein weiteres Drittel kann der Erblasser frei unter den pflichtteilsberechtigten
Abkömmlingen verteilen. Tut er dies nicht, so fällt auch dieses Drittel zu gleichen Teilen den Abkömmlingen zu.
Der Pflichtteil des Ehegatten oder Lebenspartners besteht nach baskischem Erbrecht in einem Niessbrauch an der Hälfte der Erbmasse, wenn er neben Abkömmlingen Erbe wird. Sind keine Abkömmlinge vorhanden, erhöht sich der Pflichtteil auf einen Niessbrauch an zwei Drittel der Erbmasse. Weiterhin steht dem Ehegatten oder Lebenspartner ein Wohnrecht an der gemeinsamen Wohnung zu. Dies erlischt allerdings, sobald er eine neue Ehe oder eheähnliche Beziehung eingeht oder ein Kind mit einem anderen Partner bekommt.
Diese im Vergleich zum deutschen Recht sehr ärmliche Behandlung des Ehegatten und Lebenspartners ist in den in Spanien geltenden Rechtordnungen üblich. Sie setzt sich auch im Código Civil fort.
Dort besteht der Ehegattenpflichtteil in einem Niessbrauch in Höhe von:
– 1/3 der Erbschaft falls er neben Abkömmlingen erbt.
– 1/2 der Erbschaft beim Zusammentreffen mit Eltern oder Grosseltern
– 2/3 der Erbschaft falls es weder Abkömmlinge noch direkte Vorfahren gibt.
4. Die gesetzliche Erbfolge
Die gesetzliche Erbfolge (sucesión legal intestada) ist im baskischem Foralrecht wie folgt geregelt:
– In erster Linie erben die Kinder zu gleichen Teilen. Die Abkömmlinge der Kinder erben nach Stämmen, d.h., es gilt die aus dem BGB (§ 1924 Abs. 3) bekannte Regel, wonach an die Stelle eines bei Eintritt des Erbfalls nicht mehr lebenden Abkömmlings die durch ihn mit dem Erblasser verwandten Abkömmlige treten.
– Dem Ehegatten oder Lebenspartner steht neben den Kindern oder Enkeln sein Pflichtteil zu.
– Sind keine Abkömmlinge vorhanden, werden der Ehegatte oder Lebenspartner unter Ausschluss von Eltern oder Geschwistern zu Alleinerben.
– Nach dem Ehegatten erben die Eltern zu gleichen Teilen, erst danach sind die Geschwister zu Erben berufen.
In bestimmten Gebieten der Provinz Bizkaia sowie in den in Alava gelegenen Gemeinden Aramaio und Llodio gilt für Immobilien (bienes troncales) eine besondere Erbfolge, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll.
Der grösste Unterschied zum Código Civil besteht in der fehlenden Gleichstellung des nicht verheirateten Lebenspartners. Diesem stehen weder ein Pflichtteil noch ein Wohnrecht an der gemeinsamen Wohnung zu.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten:
Die EuErbVO bietet dem in einem anderen Mitgliedsstaat integrierten EU-Ausländer die Möglichkeit seine Nachlassplanung entweder an dem Recht seines Herkunfts, oder seines Aufenthaltsstaates auszurichten. Diese gegenüber Inländern positive Diskriminierung hat jedoch jedenfalls zur Zeit noch im Mehrrechtsstaat Spanien ihre Risiken, solange nicht geklärt ist, ob und falls ja unter welchen Voraussetzungen auf einen im Sonderrechtgebiet ansässigen EU-Ausländer das Erbrecht des Código Civil oder das des jeweiligen Foralrechts Anwendung findet.
San Sebastian, März 2016
RA M. Wendland / RA B. Kroczek